Ich bin Lora, ich bin die RealitĂ€t – Rede eines Schweins

- eine Geschichte von Viktor Gebhart -
RealitÀt & Leben

Hallo und guten Abend! Obwohl…ich weiß gar nicht so richtig, was ein Abend und eine Nacht eigentlich sind. Ich kenne den Mond nicht, habe ihn noch nie scheinen, die Sterne noch nie funkeln sehen und frische Luft noch nie schnĂŒffeln dĂŒrfen. Ich bin Lora. Ich bin die RealitĂ€t, ich bin das Lebewesen hinter eurem Schnitzel!

Dreck & Dunkelheit

Mein Alltag besteht aus Dahinvegetieren in Schmutz, Enge und Dunkelheit, stĂ€ndig geplagt von Krankheitserregern. Gemeinsam mit tausenden anderen in einem Stall in völliger Dunkelheit, die nur zu bestimmten Zeiten von DĂ€mmerbeleuchtung unterbrochen wird. FĂŒr uns ist die ganze Zeit Nacht. Mit vielen weiteren liege ich in einer schmutzigen Betonbucht in unserem eigenen Kot und Urin, der wie meine kleinen Klauen ab und an durch die Spalten im Boden rutscht.

Mast & VerstĂŒmmelung

Wirklich bewegen können wir uns nicht, aber das ist gewollt. Schließlich sollen wir in nur wenigen Monaten unser Mastgewicht von ĂŒber 100 kg erreichen. Zu viel Sport wĂ€re da nicht so gut. Die vielen Medikamente schlagen mir ordentlich auf das GemĂŒt. Mein Schwanzstummelchen schmerzt und blutet, da die anderen Schweine aus Aggression und NervositĂ€t stĂ€ndig daran beißen.

Meinen schönen Ringelschwanz haben sie mir daher prĂ€ventiv und ohne BetĂ€ubung abgeschnitten. Das war ein schlimmer Moment fĂŒr uns alle, begleitet vom Abschleifen unserer ZĂ€hne. Nur meine BrĂŒder traf es noch schlimmer: Sie wurden ihrer MĂ€nnlichkeit beraubt, ganz ohne BetĂ€ubung. Ich werde ihre spitzen Schreie nie vergessen.

ÜberzĂŒchtung & Medikamente

Aber trotz Antibiotika und Hormonen halte ich mich tapfer auf den Beinen, soweit möglich. Meine Gelenke sind durch die Spaltböden ganz verkrĂŒppelt. Und auch die fĂŒr mehr Koteletts zusĂ€tzlich angezĂŒchteten Rippen erschweren meinen Alltag. Meine Speckschwarte musste in der Zucht dafĂŒr weichen, denn heute ist nur mageres Fleisch gewĂŒnscht. Fitness und Gesundheit sind in. Bei uns leider nicht. Das VerhĂ€ltnis Organe zu Körper stimmt bei mir dadurch nicht mehr.

Die Medikamente sollen mich beruhigen. Sie werden das einzige sein, das wir miteinander teilen. Denn ihr werdet sie spĂ€ter zusammen mit den Hormone ĂŒber mein Fleisch aufnehmen, was dazu fĂŒhren kann, dass ihr Resistenzen entwickelt und Medikamente dann nicht mehr bei euch wirken, wenn ihr mal wirklich krank seid. Ich bin dauerkrank, daher kann ich mich da aber leider schlecht einfĂŒhlen – entschuldigt.

Existenz & Ende

Ich wĂŒrde euch gerne noch viel mehr von mir und meiner Existenz – denn ein Leben ist es nicht – erzĂ€hlen, aber euer Abend neigt sich dem Ende zu und der Mensch, der immer in unseren Stall kommt, ist frĂŒher erschienen und ist gestresst. Wahrscheinlich kommt der nĂ€chste Laster, der immer wieder welche von uns holt.

Wohin die Reise geht, weiß ich nicht, es ist nie wieder jemand zurĂŒckgekommen. Ich hoffe, ich darf den Mond sehen, die Sterne und die Sonne! Und die frische Februar-Luft auf meiner Haut spĂŒren!

Macht’s gut!
Eure Lora

Rund 60 Millionen Schweinen in Deutschland geht es wie Lora. Wir haben die Wahl – jeden Tag am Supermarktregal. Lebewesen wollen leben. WĂ€hlen Sie pflanzliche Optionen!

Wir haben die Wahl – jeden Tag am Supermarktregal. Lebewesen wollen leben.

Viktor Gebhart

Dieser Redebeitrag wurde am 15. Februar 2020 in Bremerhaven auf dem 1. Slam for animal rights gehalten. Die Erstversion dazu entstand bereits 2015 und wurde ĂŒber die Jahre immer wieder aufgegriffen, auch von der Presse. So erschien er u.a. leicht abgeĂ€ndert in der Mittelbayerischen Zeitung. Den zugehörigen Artikel finden Sie hier.

P.S.: Wissen ist nur Macht, wenn wir es anwenden und mit anderen teilen: